Sollte man Vitamin A in der Schwangerschaft ergänzen?
Über viele Jahre wurde erforscht, warum Länder mit hoher Armut – häufig Entwicklungsländer – viele ernährungsbedingte Mangelerkrankungen zeigen. Heute ist klar, dass s. g. kritische Nährstoffe – Folsäure, Vitamin A, Vitamin B12, Kalzium, Eisen und Zink – einen großen Anteil daran haben. (vgl. Beal et al. 2023)
Viele dieser Nährstoffe, allen voran B12, Vitamin A, Eisen und Zink, kommen vorrangig und hoch bioverfügbar in Tierprodukten vor. In Regionen mit hoher Armut können sich viele Menschen z. B. Fleisch nicht leisten. Die Folge ist eine Mangelversorgung mit diesen Nährstoffen.
Deutschland entwickelt sich leider zunehmend in genau diese Richtung. Denn obgleich es die hiesige Ernährungspolitik im Namen des Umweltschutzes sicher gut meint. De facto werden wir uns in Zukunft unter Umständen vermehrt genau mit diesen kritischen Nährstoffen befassen müssen.
Denn aktuelle Ernährungspolicies – fußend u. a. auf angedachten Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Vorhaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft oder global dargelegt als EAT–Lancet planetary health diet – forcieren einen gesellschaftlichen Wandel hin zu pflanzenbasierter, tierproduktarmer Kost in westlichen Nationen.
Vitamin A in der Schwangerschaft: Einleitende Worte
Dieser Artikel befasst sich mit der Rolle von Vitamin A in der Schwangerschaft – geklärt werden soll, wie es um die Versorgung mit Vitamin A in der Schwangerschaft bestellt ist und ob eine reale Gefahr von Vitamin A – auch in Form einer Ergänzung –, vor allem in der Frühschwangerschaft, ausgeht.
Bis vor wenigen Jahrzehnten noch war die Bevölkerung schätzungsweise sehr gut mit Vitamin A – das vorrangig in Eiern, Milch und Leber vorkommt – versorgt. Leber wird immer seltener gegessen. Und viele Ernährungstrends drängen Milch und Eier vom Speiseplan.
Trotzdem wird gebetsmühlenartig vor Vitamin A gewarnt, was sich auch daran zeigt, dass uns viele besorgte Schwangere schreiben und fragen, ob das edubily-Mama Multi (enthält 25 % NRV Vitamin A) sicher sei. Man lese "überall, dass Vitamin A in der Schwangerschaft nicht eingenommen werden sollte".
Dem wollen wir im Folgenden genauer auf den Grund gehen.
Darum kann Vitamin A teratogen wirken
Im Körper entsteht aus Vitamin A – Retinol – eine Gruppe von Hormonen, die man Retinsäuren nennt. Es gibt verschiedene Retinsäuren im Körper – man spricht von Retinoiden –, die alle eine unterschiedliche Hormonwirkung haben. Vereinfacht soll im Folgenden nur von der Retinsäure die Rede sein.
Die Retinsäure ist von großer Bedeutung für die Embryonalentwicklung: Retinsäure-abhängige Rezeptoren werden schon in sehr frühen Entwicklungsphasen exprimiert und regeln die Entwicklung des Skelettsystems, des Neuralrohrs, verschiedener Organe und Gewebe – daher ist ein niedriger Vitamin-A-Spiegel mit Missbildungen, Fehlfunktionen und einer hohen Kindersterblichkeit in Entwicklungsländern assoziiert.
Die Retinsäure zeigt sich jedoch leider als Januskopf: Es ist möglich, dass eine exzessive Retinsäurebildung – z. B. über sehr hohe Vitamin-A-Mengen in der Frühschwangerschaft (Embryonalphase) – teratogen, also embryoschädigend wirkt. Auf Grundlage dieser Beobachtung fußt der "Ratschlag", eine Vitamin-A-Ergänzung zu meiden.
De facto ist die Datenlage hierzu jedoch sehr viel dünner als gemeinhin angenommen. Bis heute gelten im Kern Empfehlungen, die es schon seit über 20 Jahren gibt.
- Tierstudien zeigten nur ein geringes teratogenes Potential von hohen Dosen Vitamin A in der Frühphase der Schwangerschaft.
- Epidemiologische Studien am Menschen lassen nicht erkennen, ab welcher Hochdosis Vitamin A überhaupt teratogen wirkt.
- Selbst bei Frauen, die sehr hohe Dosen Vitamin A einnehmen, steigen die Retinoidspiegel nicht wesentlich an.
- Auch bei Primaten ist die teratogene Wirkung von Vitamin A beschränkt.
(vgl. Miller et al. 1998)
Daher ist die embroyschädigende Wirkung von Retinoiden vor allem an Isotretinoin abgeleitet worden. Dabei handelt es sich um eine auch im Körper vorkommende Retinsäure, die medikamentös, also hoch dosiert, z. B. bei Akne eingesetzt werden kann. Sie darf zum Zeitpunkt einer möglichen Schwangerschaft nicht eingenommen werden.
Bitte beachten: Eine isolierte Hormongabe im Hochdosisbereich ist eben nicht gleichzusetzen mit der Wirkung eines Vitamins, auch wenn das gleiche Hormon involviert ist!
Das New England Journal of Medicine lieferte 1995 erstmals konkrete Zahlen zu den Vitamin-A-Dosen in der Frühschwangerschaft, die in möglicher Verbindung mit Geburtsfehlern stehen könnten. Anhand von rund 23.000 Frauen fanden sie einen möglichen Schwellenwert ab 10.000 IE (3 mg) Retinol pro Tag.
Bis heute setzen Behörden, darunter auch das Bundesinstitut für Risikobewertung, die tägliche sichere Dosis – auch für Schwangere – auf 10.000 IE (3 mg) pro Tag. Das ist mehr als die dreifache Menge der empfohlenen Tagesdosis für Schwangere und die doppelte empfohlene Menge für Stillende.
ß-Carotin – also Provitamin A – hat diese mögliche teratogene Wirkung selbst bei hohen Dosen nicht, weshalb es fragwürdigerweise immer wieder als "sichere Vitamin-A-Quelle" bezeichnet wird (dazu gleich mehr).
Wichtig: Was viele nicht wissen ist, dass neuere Studien zeigen, dass eine Vitamin-A-Insuffienz selbst teratogene, also embryoschädigende Wirkungen haben kann. Das wurde an einem Mausmodell der angeborenen Zwerchfellhernie untersucht, die durch teratogene Effekte hervorgerufen wird. Es scheint also keineswegs so, dass man embryoschädigenden Wirkungen von (hohen Dosen) Vitamin A "entkommen" kann, indem man einfach gar keins zuführt.
⇨ Der Körper braucht eine ausreichende Vitamin-A-Versorgung – weder zu viel noch zu wenig.
ß-Carotin (Provitamin A) reicht wahrscheinlich nicht
Metabolisch aktiv ist nur Retinol (Vitamin A), nicht ß-Carotin, die pflanzliche Vitamin-A-Vorstufe (Provitamin A).
ß-Carotin wird im Körper über ein Enzym namens ß-Carotin-Oxygenase (BCO1) zu Retinol umgesetzt. Das ist auch der Grund, warum ß-Carotin keine teratogene Wirkung hat: Das Enzym ist ab einer bestimmten Menge ß-Carotin abgesättigt und eine negative Rückkopplung sorgt dafür, dass die Enzymaktivität bei hoher Vitamin-A-Versorgung zusätzlich nachlässt.
Für für die Bildung von 1 μg Retinol (= aktives Vitamin A im Körper), braucht es nach aktuellen Schätzungen etwa 12 μg β-Carotin aus der Nahrung – man spricht vom Retinolaktivitätsäquivalent (RAE), der hier bei 1:12 liegt. Die Bioverfügbarkeit vom ß-Carotin in Lebensmitteln schwankt jedoch erheblich.
ß-Carotin aus rohen Karotten verfügt nur über einen Bruchteil der Bioverfügbarkeit des ß-Carotins aus gekochten Karotten. Daher liegt der RAE-Wert bei Salaten, Gemüsen und anderen ß-Carotinhaltigen Lebensmitteln – wo ß-Carotin in einer komplexen Matrix verankert ist – irgendwo zwischen 1:4 und 1:28! Ganz genau wissen kann man das nicht.
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Humanstudien, in denen Umrechnungsfaktoren für die Umwandlung von ernährungsbedingtem β-Carotin in Retinol ermittelt wurden, wird hier vorgestellt. Diese Daten zeigen, dass die Umwandlungseffizienz von ernährungsbedingtem β-Carotin in Retinol im Bereich von 3,6-28:1 nach Gewicht liegt.
(vgl. Tang 2010)
Doch das BCO1-Gen, das für die Umwandlung von ß-Carotin in Retinol zuständig ist, funktioniert nicht bei allen gleich. Pionierarbeit diesbezüglich hat Dr. Georg Lietz, ein aus Deutschland stammender Professor der Uni Newcastle, auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), geleistet.
In zwei wichtigen Studien konnte er zeigen, dass es mehrere Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs) gibt, die das BCO1-Gen betreffen und die BCO1-Enzymaktivität – also die Umwandlung von ß-Carotin in Retinol – als Folge drastisch senken.
So trägt jeder zweite Europäer das T-Allel bei rs7501331, das die ß-Carotin-Retinol-Konversion in Frauen um 32 % senkt. Kommt dazu noch das T-Allel von rs12934922 (in ca. 70 %), sinkt die Retinolbildung aus ß-Carotin sogar um knapp 70 %, was den RAE-Wert noch einmal erheblich steigern würde. (vgl. Lietz et al. 2009)
Weitere sehr verbreitete SNPs – zwischen 80 und 90 % in Europäern – sind rs6420424 (A), rs11645428 (G), and rs6564851 (G), die die BCO1-Aktivität in Frauen zwischen 20 und 60 %, je nachdem, ob das Allel einfach oder doppelt getragen wird, senken. Dementsprechend ist es sehr wahrscheinlich, dass viele Menschen genetisch gar nicht in der Lage sind, ß-Carotin effizient in Retinol (Vitamin A) umzusetzen. (vgl. Lietz et al. 2012)
Dr. Lietz, der mit seiner ersten Studie bereits zeigte, dass "knapp 50 % der Frauen die genetische Variante trugen, die sie daran hinderte, ß-Carotin wirksam in Vitamin A umzuwandeln", kommentierte die Ergebnisse wie folgt:
"Besorgniserregend ist, dass jüngere Frauen besonders gefährdet sind", erklärt Dr. Lietz, der an der School of Agriculture, Food and Rural Development der Universität Newcastle tätig ist.
"Die älteren Generationen neigen dazu, mehr Eier, Milch und Leber zu essen, die von Natur aus reich an Vitamin A sind, während die gesundheitsbewussten jungen Menschen, die sich fettarm ernähren, stark auf die Beta-Carotin-Form des Nährstoffs angewiesen sind."
Das war vor über zehn Jahren. Heute hat sich das Problem insofern verschärft als viele Frauen bewusst oder unbewusst dazu tendieren, sich tierproduktarm bzw. pflanzenbasiert zu ernähren.
Außerdem wurde – wie dargelegt – gezeigt, dass die Konversion abnimmt, je höhere ß-Carotin dosiert wird (Novotny et al. 2010). Mehr ß-Carotin in der Nahrung erhöht also nicht zwangsläufig den Retinolgehalt des Körpers, was eine Erhöhung der ß-Carotinzufuhr fraglich macht.
Zusätzlich nutzt das BCO1-Enzym Eisen als Kofaktor, was speziell bei Menschen ein kritischer Nährstoff ist, die sich tierproduktarm ernähren – Ernährungen, die also auf eine hohe BCO1-Aktivität angewiesen sind, zeigen paradoxerweise ein intrinsisches Risiko für eine geringe BCO1-Aktivität. (vgl. Pawlak et al. 2018)
Darüber hinaus wurde gezeigt, dass ß-Carotinabkömmlinge, die bei der enzymatischen Umsetzung via BCO1 entstehen, auch eine Anti-Vitamin-A-Wirkung haben können, was als mechanistische Grundlage für die Beobachtung dient, dass ß-Carotin mit höherer Krebsrate bei Rauchern assoziiert war. (vgl. Eroglu et al. 2012)
⇨ Daraus lässt sich ableiten, dass die Retinolversorgung alleine durch ß-Carotin eher nicht gewährleistet sein könnte.
Die konkrete Versorgungslage bei Schwangeren
2012 hat das Institut für Ernährungswissenschaften der Uni Jena anhand von 120.000 Menschen in entwickelten, also westlichen Ländern die Vitamin-A-Versorgung untersucht und kam damals zum Schluss, "dass eine gesicherte Vitamin-A-Zufuhr im Allgemeinen nicht durch den Verzehr nur einer Komponente(Vitamin A oder β-Carotin) erreicht werden kann, auch nicht in westlichen Ländern (...)" (vgl. Weber & Grune 2012)
Schwangere brauchen ca. 800 μg (= 2667 IE) Vitamin A pro Tag, was auf Basis des RAE von 1:12 fast 10 mg ß-Carotin macht. Täglich! In der genannten Studie lag die durchschnittliche ß-Carotin-Aufnahme bei nur 4 mg pro Tag – Schwangere müssten ihre ß-Carotinzufuhr also mindestens verdoppeln.
Andere Untersuchungen aus Deutschland kommen zum Schluss, dass die ß-Carotin-Zufuhr bei den meisten Menschen sogar erheblich darunter liegt:
Derzeit liegt die β-Carotin-Aufnahme in Deutschland bei fast der Hälfte der Bevölkerung unter 1 mg/d und 64,1 % haben eine Aufnahme von <2 mg/d
Eine Studie aus 2007 unter Beteiligung von Hans Konrad Biesalski (Uni Hohenheim) zeigte, dass nur 25 % der Frauen ihren Vitamin-A-Bedarf vollständig über Retinol aus der Nahrung decken konnten. Die Mehrheit der Frauen erreichte jedoch eine vergleichsweise hohe Carotinoidzufuhr – theoretisch bedarfsdeckend.
Trotzdem zeigten sich bei einem Drittel der Probandinnen zu niedrige Retinolwerte im Plasma, niedrige Retinolwerte im Nabelschnurblut der Neugeborenen und niedrige Retinolwerte in Kolostrum und Muttermilch – wir sprechen hier also nicht nur von insuffizienter Zufuhr, sondern von einem Mangel. Die Autoren kommen zum Schluss:
Trotz der Tatsache, dass Vitamin A- und ß-Carotin-reiche Lebensmittel allgemein verfügbar sind, gibt es in der westlichen Welt Risikogruppen für eine geringe Vitamin-A-Versorgung.
Lietz et al. (2012) bestätigten diese Erkenntnisse an einer Kohorte junger britischer Frauen, die durchschnittlich 20 Jahre alt waren: Hier wurden im Mittel lediglich 1,2 mg ß-Carotin pro Tag aufgenommen und die "mittlere tägliche Aufnahme von Retinol war gering (133 μg/d)".
⇨ Auf Basis dieser Daten und gängigen Ernährungsformen ist anzunehmen, dass es alles andere als selbstverständlich ist, adäquat mit Vitamin A versorgt zu sein.
Vitamin A (Retinol) in Lebensmitteln
Vitamin A kommt direkt als Retinol in nur wenigen Lebensmitteln vor – und auch nur in tierischen. Dazu zählen fetthaltige Milchprodukte, Eier, aber vor allem Leber und -produkte. Wie eingangs erwähnt, gab es bis vor wenigen Jahrzehnten keinerlei Grund zur Annahme, dass die Bevölkerung nicht gut mit Vitamin A versorgt ist.
Denn Lebertran, Leberwurst, Leberpastete oder die Leber als Speise war Grundbestandteil der deutschen Ernährung. Auch mit Butter und Sahne (Milchfette) wurde gerne gekocht – Milchfett ist eine gute Retinolquellen, das zumindest einen Grundstock – ca. 10-50 % NRV – an Retinolverfügbarkeit gewährleistet.
Ein Monitoringbericht vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit finden sich genaue Retinolwerte für verschiedene Leberprodukte. Der Mittelwert von Retinol in Rinder-, Schweine- und Lamm-, beziehungsweise Schafleber beträgt 23 mg/100 g Leber. Theoretisch decken 100 g Leber also den Vitamin-A-Bedarf für ca. drei bis vier Wochen.
Der hohe Gehalt könnte dazu verleiten, zu glauben, dass Leber in der Schwangerschaft zu vermeiden sei. In der Tat warnt das BVL in dem Bericht vor dem Leberverzehr in der Schwangerschaft. Auf der anderen Seite stellte das Bundesinstitut für Risikobewertung noch 2004 fest, dass Schwangere ihren erhöhten Vitamin-A-Bedarf nur durch den Leberkonsum decken können (mehr dazu).
Ein internationales Experten-Gremium fasste das Thema "Leber in der Schwangerschaft" schon 2010 sehr gut zusammen:
Jungen Frauen, insbesondere solchen, die eine Schwangerschaft planen, wurde immer wieder geraten, den Verzehr von Leber wegen des zu hohen Vitamin-A-Gehalts zu vermeiden. (...)
Die Warnung vor dem Verzehr normaler Leberportionen (z.B. 100 g einmal/Woche) ist daher wissenschaftlich fragwürdig und könnte dazu führen, dass der ohnehin schon niedrige Leberverzehr, insbesondere bei jungen Frauen, weiter sinkt.
Warum? Weil in Studien gezeigt wurde, dass nur 40 % des Retinols aus Leber überhaupt vom Darm aufgenommen werden. "Außerdem wird das in der Leber enthaltene Vitamin A langsamer aufgenommen als das aus Kapseln, und es wird nur sehr wenig Retinsäure gebildet, eine Bildung, die unter strenger Regulation liegt".
Heißt, es ist unwahrscheinlich, dass die potentiell teratogen (embryoschädigend) wirkende Retinsäure nach dem Verzehr von Leber überhaupt in zu hoher Menge freigesetzt wird und eine schädliche Wirkung entfalten könnte – entgegen der einfachen Annahme, dass hohe Vitamin-A-Mengen in der Leber auch hohe Mengen teratogener Retinoide im Körper freisetzen.
Außerdem verfügt der Körper auch bei Retinol über robuste Kontrollmechanismen, so die Autoren:
Selbst bei regelmäßiger hoher Zufuhr (z. B. Leberverzehr häufiger als einmal pro Woche) steigt der Plasmaspiegel von Retinol und damit auch seine Zufuhr zu den Zielzellen nicht an. Dies liegt an der kontrollierten hepatischen Synthese des Retinolbindungsproteins (RBP).
Ohnehin würden mögliche Unsicherheiten nur für das erste Trimester gelten. Hier kann also nach individueller Risikoabwägung auch auf Leber als Vitamin-A-Quelle verzichtet werden. "Im zweiten und dritten Trimester besteht bei regelmäßigem Leberverzehr kein Risiko." (vgl. Grune et al. 2010)
⇨ Festzuhalten bleibt: Ein normaler Leberkonsum ist auch in der (Früh-)Schwangerschaft eher nicht gefährlich und trägt eher zu einer normalen Vitamin-A-Versorgung bei.
Mögliche Versorgungsszenarien
--Dieser Artikelteil kann auch übersprungen werden.--
Die Vitamin-A-Bedarfsdeckung lässt sich also einfach verstehen: Schwangere brauchen etwa 800 μg, um sicher versorgt zu sein. Stillende haben sogar den höchsten Bedarf von allen Personengruppen, mit etwa 1,3-1.5 mg pro Tag.
Geht man davon aus, dass der Grundstock an Retinol (aktives Vitamin A im Körper) nur zu einem Faktor X durch Retinol aus der Nahrung gedeckt wird, ergibt sich eine "Lücke von Retinoläquivalenten, die durch ß-Carotin gefüllt werden muss". (vgl. A auf Abb.)
Daraus ergeben sich einige Szenarien (B):
- 1) Der Vitamin-A-Bedarf wird vollständig durch Retinol über die Nahrung gedeckt.
- 2) Die Nahrung hat einen hohen Retinol-Anteil und nur ein geringer Restanteil muss über ß-Carotin gedeckt werden.
In beiden Szenarien ist die Vitamin-A-Versorgung sehr sicher gedeckt, unabhängig vom Umwandlungsfaktor des ß-Carotins.
- 3) Man führt nur kleine Mengen Vitamin A (Retinol) zu und muss den Rest über ß-Carotin decken.
- 4) Man deckt den Bedarf ausschließlich über ß-Carotin.
In diesen Szenarien sind hohe ß-Carotinmengen nötig und diese Gruppe kann nicht sicher sein, dass die Retinolversorgung im Körper wirklich gedeckt ist.
- (5) Die ß-Carotin-Zufuhr bleibt deutlich unter dem nötigen RAE-Wert, um den Vitamin-A-Bedarf zu decken
- (6) Die Retinolzufuhr bleibt deutlich unter dem Bedarf, ß-Carotin wird nicht zugeführt
- (7) Die Retinolzufuhr bleibt mäßig unter dem Bedarf, ß-Carotin wird nicht zugeführt
In diesen drei Szenarien kann man von einem sicheren Vitamin-A-Mangel ausgehen.
⇨ Das sicherste Szenario ist also ganz einfach, den Vitamin-A-Bedarf mit Retinol über Nahrung und Nahrungsergänzung zu decken. Das, was als ß-Carotin obendrauf kommt, hat an sich ohnehin kein teratogenes Potenzial und kann mögliche Retinolengpässe in der Nahrung ggf. etwas abfedern.
Handlungsempfehlung und Fazit
In 99,7 % seiner Entwicklungszeit hat der Mensch als Jäger und Sammler gelebt und seinen Vitamin-A-Bedarf wohl vorrangig über Retinol aus Tierprodukten gedeckt – was auch der Grund dafür sein dürfte, dass viele Menschen einen genetischen BCO1-Funktionsverlust tragen. Zeitgleich dürfte der Mensch über eine gut ausgestatte Körperintelligenz verfügen, um ein Zuviel an Vitamin A über die Nahrung zu erkennen.
Die persönliche und anekdotische Evidenz gibt hier recht: Wer auf Nummer sicher gehen will, isst einfach regelmäßig eine hochwertige Leberwurst, auch in der Schwangerschaft. Es zeigt sich, dass der Appetit darauf ein sehr verlässlicher Marker der Versorgungssituation des Körpers ist.
Die Leberwurst hat den Vorteil, dass sie nur zu einem Teil aus Leber besteht (häufig 20-30 %) – üblicherweise nutzt man bei Leberwurst auch nur kleine Mengen im Bereich von 10-20 g. Dieses Vorgehen würde etwa den Tagesbedarf an Vitamin A decken – bei täglichem Leberwurstverzehr! Unterm Strich haben also selbst sehr vorsichtige Menschen hier weitere Sicherheitsbarrieren.
Mit Blick auf MamiGut Schwangerschaft lässt sich anhand der Ausführung hier ableiten, dass die 75 % NRV (also 600 μg) einen zuverlässigen und sehr sicheren Grundstock an Retinol für Schwangere bieten.
Eine gut durchdachte Ergänzung ist entgegen anders lautender Empfehlungen also alles andere als gefährlich. Das Gegenteil stimmt. Gleichgültig, ob sich Schwangere dazu entscheiden, z. B. noch Leberwurst zu essen oder nicht.
Wir leben in einem Land, das es mit Sicherheit und "Fürsorge" oft ein bisschen zu gut meint: Während es richtig ist, dass sehr hohe Vitamin-A-Dosen eine Gefahr darstellen können, sieht die Realität so aus, dass die meisten Frauen sich eher mit einer möglichen Unterversorgung befassen sollten.
Gut gemeinte und ständig wiederholte Ratschläge erhöhen dieses Risiko zusätzlich. Keine Angst vor Vitamin A in der Schwangerschaft!
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